Der neue Stadtteil Freiham ist eines der größten Stadtenwicklungsprojekte Münchens und wird rund 25.000 Bewohnern ein neues, attraktives Lebensumfeld bieten. Als wichtiger Baustein dieses Areals entsteht derzeit der Bildungscampus als bisher größtes Schulprojekt der Landeshauptstadt. Er besteht aus Gymnasium, Realschule, sowie Grund- und Förderschule und einer zentralen Mitte mit Doppelsporthalle. Die architektonische Herausforderung des zweiten Rettungsweges lösten die Planer mit umlaufenden Fluchtbalkonen, in einer Gesamtlänge von gut vier Kilometern. Befestigt und thermisch entkoppelt mit verschiedenen Typen des Isokorb XT des Herstellers Schöck Bauteile GmbH.
Im Februar 2015 wurde der vom Baureferat der Landeshauptstadt München ausgelobte Realisierungswettbewerb für den Neubau des Bildungscampus Freiham entschieden. felix schürmann ellen dettinger architekten, München mit Keller Damm Kollegen Landschaftsplaner Stadtplaner GmbH, München konnten das Preisgericht in dem nicht offenen, zweiphasigen Realisierungswettbewerb von ihrem Konzept überzeugen. Die Stadt München setzte bei diesem Projekt das sogenannte Lernhauskonzept um: Ein Modell, das pädagogische, architektonische und organisatorische Strukturen miteinander verbindet. Es unterteilt große Schulen in kleine Einheiten mit Klassenzimmern, Differenzierungsräumen, Teamräumen für Lehrer und einem offenen Mittelbereich.
Die Architekten ordneten die vier unterschiedlichen Schultypen auf dem Campusgelände so an, dass sie sowohl zueinander als auch zu den öffentlichen Freiflächen in einem direkten räumlichen Zusammenhang stehen. So können gemeinschaftliche Einrichtungen wie Bibliothek und Mensa von allen Schulen genutzt werden. Dies soll den Austausch zwischen den Schülerinnen und Schülern auf dem Campus in einem gemeinsamen Umfeld fördern. Dazwischen befindet sich eine Grünfläche mit Ost-West-Ausrichtung. Ziel der Grünflächenausgestaltung war es, die angrenzenden Bereiche durchgängig miteinander zu verbinden und gleichzeitig attraktive Aufenthaltsflächen für schulische und öffentliche Nutzungen zu schaffen. Die Pausenhöfe sind räumlich von den öffentlichen Freiflächen abgegrenzt. Die Mittelzonen aller Lernhäuser verfügen über eine natürliche Belichtung ohne zusätzlichen Lichthof, weshalb auch dort flexibel nutzbare Foren entstehen.
Der Gebäudekomplex besteht aus vier Bauteilen: Realschule und Gymnasium (RSG), Grundschule und Sonderpädagogisches Förder- und Kompetenzzentrum (GSF), Zentrale Mitte mit einer Mensa, einer Doppelsporthalle sowie einer Tiefgarage mit 110 PKW-Stellplätzen (ZTM) und einer oberirdischen Verbindungsbrücke zwischen der Zentralen Mitte und dem GSF-Komplex. Die umlaufenden Fluchtbalkone gliedern die Fassade horizontal und verleihen den Gebäuden Tiefe.
Die Architekten realisierten bei allen Gebäudekomplexen den vorgeschriebenen zweiten Rettungsweg über Fluchtbalkone, die jedes Geschoss komplett umlaufen. So ist gesichert, dass die Schüler und Lehrer im Notfall direkt nach draußen flüchten und über die außen liegenden Treppenhäuser nach unten gelangen können. Das Tragwerk des Großprojekts planten die Büros Sailer Stepan und Partner, Beratende Ingenieure für Bauwesen VBI, München und Krone Ingenieure GmbH aus Berlin in einer Planungsgemeinschaft. Moritz Hupfauf von Sailer Stepan und Partner erklärt: „Wie bei jedem Bauvorhaben bedarf es gerade bei den Anschlüssen der Balkone besonderer Aufmerksamkeit. Zum einen gilt es in diesem Bereich Wärmebrücken zu vermeiden, zum anderen wirken besonders starke Kräfte auf der Verbindung von Gebäude und Balkon“. Die Lösung war der Schöck Isokorb XT, der Bauteile wie Attiken, Vordächer oder wie hier Balkone thermisch voneinander trennt und gleichzeitig Teil der Statik ist.
Die insgesamt vier Kilometer langen Fluchtbalkone rund um die unterschiedlichen Gebäudeeinheiten, sind alle mit dem Schöck Isokorb befestigt. Die Fugenabschnitte zwischen den Balkonen wurden mit dem Schöck Dorn verbunden. Der Schöck Dorn ist für große Fugenabstände besonders geeignet. Er sorgt dafür, dass die Balkone sich nicht unterschiedlich senken und auf einer Linie bleiben. Auf der Nord-, Ost- und Westseite kragen die Fluchtbalkone vom Deckenrand zirka 2,10 Meter aus. An den südlichen Deckenrändern wurden die zirka vier Meter breiten Balkonflächen auf Stützen aufgelagert. Die Treppenläufe der Fluchtbalkone sind in Ortbeton ausgeführt und mit herausstehender Anschlussbewehrung zur monolithischen Verbindung mit den Balkonplatten ausgebildet. Es wurden rund 80 verschiedene Isokorb Typen direkt in die Ortbetondecken mit eingebaut, davon 40 Typen als Sonderausführung.
„Wir haben die Fluchtbalkone aufgrund ihrer großen Abmessung in Ortbeton ausgeführt. Teilweise waren die Abschnitte bis zu zwanzig Meter lang und so hätte das Gewicht der Bauteile den Transport und die Montage unnötig erschwert. Die Balkone sind alle in Sichtbeton mit aufgerauter Oberfläche ausgeführt und verhindern so das Ausrutschen auf nasser Oberfläche. Die Schalung der Balkone war recht komplex, weil auf der Unterseite Tropfnasen und auf der Oberseite Aufkantungen ausgebildet sind, um Schmutzfahnen zu vermeiden. Insgesamt haben wir zirka ein Kilometer Schalung für dieses Projekt hergestellt,“ erklärt Selina List Bauleiterin, von der Glass GmbH Bauunternehmung aus München, die für alle Rohbauarbeiten verantwortlich war.
Moritz Hupfauf von Sailer Stepan und Partner, verantwortlich für die statische Berechnung des Gebäudekomplexes RSG ergänzt: „Man entschied sich hier für eine Entwässerung der Balkone nach innen. Die Anordnung der Rinne in Längsrichtung machte einen hohen Querschnitt erforderlich. Die statische Optimierung führte zu einer Voutung des Querschnitts nach außen, was insbesondere in den Gebäudeecken zu einer recht komplizierten Geometrie führte. Im Zuge der Bauausführung wurde eine entsprechend aufwändige Schalung und Bewehrungsführung erforderlich, um die geforderte Sichtbetonqualität sicher zu stellen.“
In den Eckbereichen der hochbewehrten Bauteile, liegen kreuzweise Bewehrungslagen mit einem Durchmesser von 20 Millimeter übereinander. „Deshalb haben wir zusätzlich Sonderkörbe geplant, damit die Bewehrungsstäbe in den Bauteilen eine Lage tiefer eingesetzt werden können“, erläutert Claire Podlasly-Nehse, Anwendungstechnikerin der Schöck Bauteile GmbH. Zudem waren unterschiedliche Betondeckungen in der Höhe von 55 Millimeter bis 60 Millimeter notwendig, die auch den Einsatz von Sonderlösungen erforderten. Auch die relativ großen Schnittgrößen, also die inneren Kraftgrößen, die das Bauteil gegen äußere Einwirkungen aufbringen muss, um nicht zu versagen, erforderten den Einsatz von unterschiedlichen Sonderkörben. „Wir können mit den Standardkörben Typ KXT Querkraft VRd,z bis zu 125,4 kN/m abdecken. Da waren aber Bereiche die deutlich mehr an Querkraft verlangten. Für diesen Zweck haben wir ebenfalls Sonderelemente ausgearbeitet“, so Claire Podlasly-Nehse.
Das Baureferat München nutzt die sogenannte Lean Management-Methode, um die straffen zeitlichen Vorgaben zu erfüllen und zu steuern: Der Bauablauf ist optimiert und in einer vierwöchigen Vorschau so durchgeplant, dass die Arbeit der zahlreichen beteiligten Baufirmen „Just in Time“ täglich passgenau aufeinander abgestimmt wird. „Wir haben uns im Vorfeld mit der Schöck Bauteile GmbH ein Konzept überlegt, wie wir bei diesem Bauvorhaben idealerweise vorgehen. Gemeinsam haben wir einen Lieferzeitplan erstellt. Dies war notwendig, da zu einem Liefertermin, Sonderkörbe für bis zu drei Geschosse verschiedener Bauabschnitte, gleichzeitig geliefert werden mussten. Zu Spitzenzeiten wurden zirka 600 Stück Isokorb unterschiedlichster Typen zusätzlich zum normalen Tagesgeschäft eingetaktet“, erläutert Selina List. So entstand die Idee, jeden Isokorb entsprechend seiner Position aus dem Verlegeplan zu etikettieren. Dafür wurden zusätzliche Etiketten erstellt, gedruckt und aufgebracht. Diese außerordentliche Aufgabe musste mit höchster Sorgfalt erledigt werden, da es beim Einbau der Körbe nicht zu Verwechslungen kommen durfte. In der Endmontage waren hierfür separat Maßnahmen in der Kontrolle und Endabnahme nötig, um einer falschen Etikettierung vorzubeugen. In Summe wurden zur normalen Kennzeichnung fast 9.000 zusätzliche Etiketten angebracht. „Dieses Plus an Service sorgte auf der Baustelle für einen reibungslosen Ablauf und Einbau”, resümiert Selina List.
Der Bildungscampus ist das mit Abstand größte Schulbauprojekt der Landeshauptstadt München und eines der größten in Deutschland. Darüber hinaus realisiert die Stadt mit dem Bildungscampus Freiham erstmals ein Bauprojekt, das allen Schülerinnen und Schülern – auch mit unterschiedlichsten Formen von Einschränkungen – gerecht wird. Der Bildungscampus Freiham soll damit als Modell für künftige Schulneubauten und -umbauten dienen. Grundlage ist der Aktionsplan „München wird inklusiv“; in diesem Rahmen hat sich die Landeshauptstadt München verpflichtet, die UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen. Bereits ab dem Schuljahr 2019/2020 soll der Campus etwa 3.000 Schülerinnen und Schülern Platz bieten. Um dieses äußerst ehrgeizige Ziel zu erreichen, arbeitet das Baureferat unter Hochdruck an der Umsetzung. Täglich sind bis zu 350 Baufachleute im Einsatz. Während der Rohbauphase waren bis zu neun Kräne gleichzeitig vor Ort. Mit dem Ende der Rohbauarbeiten wurden inzwischen 6.160 Tonnen Stahl und 47.000 Kubikmeter Beton verbaut. Im März 2018 erfolgte die letzte Lieferung von rund 5.520 Isokorb Elemente auf die Baustelle. Das Ergebnis sind kilometerlange, sorgfältig verbaute Isokorb Elemente in den Fluchtbalkonen. Diese geben dem riesigen Schulkomplex nicht nur optisch Tiefe, sondern bieten auch mehr als vier Kilometer Sicherheit.